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Die Problemorientierung ist ein didaktisches Prinzip im Unterricht. Es handelt sich um eine Variante des forschenden Lernens, die sich u.a. aus der Didaktik des Physiklehrers Martin Wagenschein entwickelt hat.

Inhalt

Merkmale

In zahlreichen Lehrplänen wird auf den Begriff referenziert. Diese fassen Lerninhalte und Lernziele nach Schultypen und Schuljahr systematisch zusammen. Ein Curriculum umfasst darüber hinaus das ganze Konzept der Lehr- und Erziehungsmethoden sowie die Zielsetzungen einer Bildungseinrichtung.

Richtlinien und Lehrplan Deutsch Sekundarstufe I - Gymnasium. NRW 1993, 34 f.:

Wie den anderen Fächern ist auch dem Deutschunterricht verbindlich vorgegeben, den Schülerinnen und Schülern durch die Thematisierung von Schlüsselproblemen unserer Lebenswelt Einsichten zu ermöglichen in die Mitverantwortung aller Menschen für

Angesichts der globalen Veränderungen durch Wissenschaft und Technik müssen Themen hinzutreten, deren Stellenwert erst in Umrissen erkennbar ist. Hierzu gehören u. a. die neuen Medien und Informations- und Kommunikationstechnologien mit ihren ethischen und kulturellen Herausforderungen.

Richtlinien und Lehrplan Deutsch Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule. NRW 1999, 32, 35:

Eine an Problemen der Lebenswelt orientierte Unterrichtsplanung ist vor allem dann tragfähig, wenn die Schülerinnen und Schüler sich mit ihren eigenen Problemen in den Themen und Fragestellungen des Unterrichts wiederfinden. Allerdings ist auch hier eine Auswahl unabdingbar, zudem werden die Interessen in den Lerngruppen divergieren. Die Erläuterungen in der abschließenden Übersicht bilden einen Rahmen für entsprechende Planungsgespräche in den Kursgruppen. Eine Problemorientierung in der Unterrichtsplanung ist fachlich gerechtfertigt, wenn der gewählte Problemaspekt in deutlichem Bezug zu diesem Rahmen steht.

Probleme der Lebenswelt

Sie sind in den Jahrgangsstufen, Kursen und Unterrichtsvorhaben in unterschiedlicher Gewichtung zu berücksichtigen.

Unterricht

Pädagogische Grundannahmen für die Entwicklung einer Lernkultur

2. Das Leitkonzept der Problemorientierung

 

Als Extrempositionen stehen die traditionelle ebenso wie die konstruktivistische Lehr-/ Lernphilosophie also vor theoretischen und empirischen, insbesondere aber vor praktischen Problemen. Probleme dieser Art verlangen nach Kompromissen, wie sie jeder Lehrende aus eigener Erfahrung kennt und praktiziert. Problematisch an pragmatischen Kompromissen sind jedoch die meist fehlende Reflexion, entsprechende ad hoc-Entscheidungen und die daraus resultierende Gefahr der Orientierungslosigkeit und individuellen Beliebigkeit. Mit dem Leitkonzept der Problemorientierung ist die Chance gegeben, eine konzeptionelle Brücke zwischen der traditionellen und der konstruktivistischen Lehr-/Lernphilosophie zu bauen, die genau die Schwierigkeiten beseitigen kann, die einseitige Unterrichtsauffassungen mit sich bringen.

 

2.1 Problemorientiertes Lernen und Lehren

 

Das Leitkonzept der Problemorientierung geht davon aus, dass Lernen generell ein aktiv-konstruktiver, selbstgesteuerter, situativer und sozialer Prozess ist. Diese gemäßigt konstruktivistische Auffassung vom Lernen trifft inzwischen auf einen weit verbreiteten Konsens zwischen Theoretikern und Praktikern. Damit sind jedoch noch keine expliziten Annahmen verbunden, wie dieser Prozess im Unterricht am besten zu fördern ist.

 

Problemorientierung ist nicht gleichzusetzen mit Handlungsorientierung und bedeutet auch nicht den Verzicht auf Instruktionen seitens der Lehrenden. Vereinfacht ausgedrückt ist eine Lernumgebung dann problemorientiert, wenn die Lernenden während oder nach dem Unterricht sagen können: „Wir haben nun Antworten auf unsere Fragen, wir haben Anregungen erhalten für die Bewältigung relevanter Aufgaben, wir haben Neues erfahren, das uns in unserem Denken und Handeln weiterhilft, und wir haben neue Fragen, auf die wir Antworten suchen.“ Mit anderen Worten, das erworbene Wissen darf nicht träge sein, sondern es muss zur Lösung anstehender oder zukünftiger Probleme direkt oder indirekt nutzbar sein, und/oder die Lernenden müssen den potentiellen Nutzen des erworbenen Wissens für reale Herausforderungen kennen und verstehen.

 

Problemorientierung ist ein Leitkonzept für die Gestaltung von Lernumgebungen, das eine Balance zwischen Instruktion und Konstruktion einfordert. Mit dem Begriff der Konstruktion sind letztlich alle aktiv-konstruktiven Leistungen der Lernenden sowohl allein als auch in der Gruppe gemeint. Konstruktion umfasst somit Eigen- bzw. Gruppeninitiative, (kooperative) Selbststeuerung und Selbstverantwortung. Dabei heißt „aktiv“ nicht unbedingt sichtbare Aktivität; auch nicht unmittelbar beobachtbare kognitive und motivationale Aktivitäten sind in der Konstruktion einbezogen. Mit dem Begriff der Instruktion sind die anleitenden und unterstützenden Aktivitäten der Lehrenden gemeint, zu denen nicht nur kognitive, sondern auch emotional-motivationale Maßnahmen gehören.

 

In problemorientierten Lernumgebungen findet kein radikaler Funktionswandel des Lehrenden vom didactic leader zum coach, sondern eine gezielte Verschiebung der Aufgaben in einem komplexen System- und Rollenprofil statt. Lehrerinnen und Lehrer, die problemorientiert unterrichten, nehmen eine Vielzahl von professionellen Funktionen gleichzeitig, abwechselnd und nacheinander wahr und sind dabei vieles in einem: Sie präsentieren, erklären und strukturieren, ohne die Lernenden ständig zu kontrollieren, sie geben Anregungen, unterstützen und beraten, ohne die Lernenden sich selbst zu überlassen.

2.2 Richtungsweisende Gestaltungsprinzipien

Aus dem Leitkonzept der Problemorientierung lassen sich eine Reihe von Gestaltungsprinzipien ableiten, die sicherstellen, dass die Lernumgebung insgesamt dem Anspruch der Problemorientierung genügt. Diese Gestaltungsprinzipien stellen keine Rezepte, sondern Leitideen dar für die Auswahl und Kombination verschiedener Lernmodule. Die wichtigsten Prinzipien lassen sich zu richtungsweisenden „Mikro-Kontexten“ für das Lehren und Lernen zusammenfassen, für deren Realisierung stets eine Vielfalt von Möglichkeiten in Frage kommt.

 

2.3 Aspekte einer neuen Lernkultur

 

Die Schule muss gewährleisten, dass Lernende nicht nur die für das Leben in einer Wissensgesellschaft immer wichtiger werdenden Kulturtechniken erwerben sowie anschlussfähiges und anwendungsbezogenes Orientierungswissen aufbauen, sondern auch fächerübergreifende Kompetenzen entwickeln ‑ von Selbständigkeit und Teamfähigkeit über Wissensmanagement bis zu Entscheidungsfähigkeit und demokratischem Bewusstsein. Das erfordert Lernumgebungen, die das Lernen und die Belange der Lernenden in den Vordergrund und die Aspekte der Instruktion und Konstruktion in ein flexibles, insgesamt aber ausgewogenes Verhältnis zueinander setzen. Für diese Ziele sind Lernumgebungen besonders geeignet, die einer gemäßigt konstruktivistischen Position folgen und das Leitkonzept der Problemorientierung umsetzen. Für die konkrete Gestaltung von Lernumgebungen stehen eine Reihe von Prinzipien zur Verfügung, die bei der Auswahl und Kombination verschiedener medienbasierter Lernmodule weiterhelfen. Der daraus resultierende modulare Aufbau von Lernumgebungen gewährleistet ein hohes Maß an Flexibilität, das dem Lehrenden eine Anpassung an verschiedene situative Erfordernisse erlaubt.

 

Entscheidend aber ist letztlich die damit zusammenhängende Entwicklung einer neuen Lernkultur. Mit der Wissensgesellschaft als Vision brauchen unsere Schulen mehr als eine optimale technische Ausstattung. Sie brauchen eine neue Lernkultur, die auf dem Gedanken des lebenslangen Lernens aufbaut. Mit lebenslangem Lernen ist keine Verschulung des Lebens gemeint, im Gegenteil: Lebenslanges Lernen ist in vieler Hinsicht ein selbstgesteuertes und kooperatives Lernen, das Eigeninitiative und Motivation ebenso voraussetzt wie Aktivität und Konstruktivität. Insofern ist das europaweite Plädoyer für ein lebenslanges Lernen in hohem Maße vereinbar mit einer konstruktivistisch geprägten Sicht vom Lernen.

 

Zu plädieren ist für die Entwicklung und Etablierung einer Lernkultur, die sich von den gängigen Metaphern des Wissenstransports und der Informationsübertragung löst. Eine konstruktivistisch geprägte Lernkultur trägt zum lebenslangen Lernen ebenso bei wie zum Erwerb flexibel nutzbaren Wissens, zur Entwicklung fachübergreifender Kompetenzen, zur Förderung demokratischen Denkens und Handelns und nicht zuletzt zur Motivierung der Lernenden und der Lehrenden, ohne deren Akzeptanz und Engagement die Schule bleiben würde, wie sie ist.

Quelle: Mandl, H. u. G. Reiman-Rothmeier, C. Gräsel: Gutachten zur Vorbereitung des Programms „Systematische Einbeziehung von Medien, Informations- und Kommunikationstechnologien in Lehr- und Lernprozesse“. Bonn 1998, S. 12-18 (bzw. Materialien der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, Heft 66)