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"Gibs auf" ist ein parabelartiger kurzer Prosatext von Franz Kafka (1883 - 1924). Der Titel stammt von seinem Herausgeber Max Brod. In den Manuskripten Kafkas steht als Überschrift „Ein Kommentar“. Der Text ist Ende 1922 entstanden und wurde 1936 veröffentlicht.

Inhalt

Text

„Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich daß schon viel später war als ich geglaubt hatte, ich mußte mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg.
Er lächelte und sagte: ‚Von mir willst Du den Weg erfahren?‘
‚Ja‘ sagte ich ‚da ich ihn selbst nicht finden kann‘
‚Gibs auf, gibs auf‘ sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.“

Quelle: Franz Kafka „Gibs auf!“ - In: Beschreibung eines Kampfes. Novellen, Skizzen, Aphorismen aus dem Nachlaß, hrsg. v. Max Brod, Frankfurt am Main 1983, S.87.

Inhalt

Beginnend mit dem Hinweis auf die morgendlich reinen Straßen geht der Text über in die räumliche und zeitliche Verunsicherung des Protagonisten. Als er den Schutzmann nach dem Weg fragt, entsteht eine unerwartete Wendung. Der Schutzmann gibt nicht die erbetene nüchterne Auskunft, sondern antwortet lächelnd in persönlicher Form mit einem „du“.

Es ist völlig unklar, wie sein Rat „Gibs auf“ zu verstehen ist, also was genau aufgegeben werden soll. Am Schluss wendet sich der Schutzmann mit großer Geste ab. Ob es sich dabei um ein "Hohnlachen" handelt, scheint nicht klar zu sein.

Analyse

Kafka hat sich in der Entstehungszeit des Textes bis zur erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes im Jahr 1923 recht konkret mit der Vorstellung befasst, nach Palästina auszuwandern. Seit 1917 verschlechterte sich Kafkas Gesundheitszustand von Jahr zu Jahr, trotz zahlreicher langer Kuraufenthalte. Er verstarb etwa 18 Monate nach der Entstehung des Textes am 3. Juni 1924 im Sanatorium Hoffmann (Kierling bei Klosterneuburg) im Alter von 40 Jahren.

"Wie die Fabel ist die Parabel eine Form allegorischer Rede. Sie zielt auf die Verbildlichung unanschaulicher Gedanken, indem sie eine Übertragung eines allgemeinen Sachverhalts in eine anschauliche Erzählung leistet. Wie die Fabel enthält die Parabel einen Bildteil und einen Sachteil. […]
Die Beziehung von Bild- und Sachteil ist anders als in der Fabel. Innerhalb des Bildteils finden sich keine eindeutig zu entschlüsselnden semantischen Indikatoren des gemeinten Sachverhaltes. Der Gleichnischarakter der Parabel ergibt sich nicht bereits explizit aus dem Bildteil wie in der Fabel; die Relation zwischen Bild- und Sachteil muss im Denkvorgang der Analogie erschlossen werden. Entweder können einzelne semantische Indikatoren innerhalb des Bildteils Hinweise auf das Gemeinte geben, oder die Beziehung von Gesagtem und Gemeintem muss vom Autor im nachgestellten Sachteil selbst formuliert oder vom Leser ermittelt werden."
Quelle: Monika Schrader "Deutsch in der Oberstufe", Paderborn: Schöningh 1998.